10. Sonntag nach Trinitatis / Israelsonntag (21.08.)2022

  • Eröffnung

Der Wochenspruch für den Israelsonntag – ein freudiger Ausruf im Blick auf Israel – eine Seligpreisung aus Ps 33: Wohl dem Volk, dessen Gott der HERR ist; dem Volk, das er sich zum Erbe erwählt hat. Diesem Erbe sind wir als Kinder Gottes im christlichen Glauben unabweisbar verbunden und suchen darin unsere Herkunft und unsere Zukunft.

  • Gepflanzt an Wasserläufen – Worte nach Psalm 1 in der Übertragung nach der Bibel in gerechter Sprache

Glücklich sind die Frau, der Mann,
die nicht nach den Machenschaften der Mächtigen gehen,
nicht auf dem Weg der Gottlosen stehen
noch zwischen den Gewissenlosen sitzen.
Sondern ihre Lust haben an der »Weisung GOTTES«,
diese Weisung murmeln Tag und Nacht.
Wie Bäume werden sie sein –
gepflanzt an Wasserläufen,
die ihre Frucht bringen zu ihrer Zeit,
und ihr Laub welkt nicht.
Was immer sie anfangen, es führt zum Ziel.
Nicht so die Machtgierigen:
Wie Spreu sind sie, die ein Wind verweht.
Darum bestehen Machtgierige nicht im Gericht,
Gottlose nicht in der Gemeinde der Gerechten.
Ja, auf den Weg der Gerechten gibt Gott Acht,
der Weg der Machtgierigen aber verliert sich.

  • Sein Recht und sein Gesetz bewahr – Ein Lied: Nun danket Gott, erhebt und preiset (EG 290)

1) Nun danket Gott, erhebt und preiset
die Gnaden, die er euch erweiset,
und zeiget allen Völkern an
die Wunder, die der Herr getan.
O Volk des Herrn, sein Eigentum,
besinge deines Gottes Ruhm.

2) Fragt nach dem Herrn und seiner Stärke;
der Herr ist groß in seinem Werke.
Sucht doch sein freundlich Angesicht:
Den, der ihn sucht, verlässt er nicht.
Denkt an die Wunder, die er tat,
und was sein Mund versprochen hat.

3) O Israel, Gott herrscht auf Erden.
Er will von dir verherrlicht werden;
er denket ewig seines Bunds
und der Verheißung seines Munds,
die er den Vätern kundgetan:
Ich lass euch erben Kanaan.

7) O seht, wie Gott sein Volk regieret,
aus Angst und Not zur Ruhe führet.
Er hilft, damit man immerdar
sein Recht und sein Gesetz bewahr.
O wer ihn kennet, dient ihm gern.
Gelobet sei der Nam des Herrn.

  • Bis es alles geschieht – Evangelium nach Matthäus im 5. Kapitel

Jesus spricht:
Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen.
Denn wahrlich, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelchen vom Gesetz, bis es alles geschieht.
Wer nun eines von diesen kleinsten Geboten auflöst und lehrt die Leute so, der wird der Kleinste heißen im Himmelreich; wer es aber tut und lehrt, der wird groß heißen im Himmelreich. Denn ich sage euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht besser ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen. (Mt 5,17-20)

  • Eine göttliche Gerechtigkeit – Gedanken zu Matthäus, Kapitel 5

Endlich raus zuhause, endlich tun, was ich will. Ich bin ja schon fast erwachsen, eine Studentin am College; und jetzt gehe ich mir einen Korb Süßigkeiten kaufen, und esse nichts anderes mehr. Total ungesund. Aber jetzt bestimme ich die Regeln.
So beginnt der Roman, den sich meine Tochter neulich gekauft hat. Die junge Studentin geht bezahlen, und der Kassierer nickt wissend. 1. Semester?, fragt er und sie schaut ihn verwundert an, und fragt ihn, woher er das wisse? Tja, sagt er, ich bin 3. Semester und Süßigkeiten kaufen, das machen sie alle. Nach einem halben Jahr spätestens wirst du dich nach dem Essen deiner Mutter sehnen.
Spaßverderber, dachte ich; aber vermutlich hat er recht. Vielleicht haben Sie ähnliche Erfahrungen gemacht,
liebe Leserinnen, liebe Leser;
einen Lebensabschnitt hinter sich gelassen und die neue Freiheit gespürt, jetzt tun und lassen zu können, was sonst mindestens kritisch beäugt wurde. So lange aufbleiben, wie ich will; essen, was ich will; aufstehen, wann ich will; usw. Ohne Rücksicht. Nicht um jemanden zu schaden, aber auch ohne lästige Einsprüche seitens der Eltern etwa, oder anderer naher Menschen.

Wenn Jesus spricht: Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen, dann scheint eine ähnliche Denkungsart dahinter zu stehen. Ich kann jetzt das ganze mühsame Gesetz hinter mir lassen. Jesus hat es ja selbst gesagt, als seine Jünger am Sabbat Ähren rauften, um zu essen. Der Mensch ist nicht um des Sabbats willen da, sondern der Sabbat um des Menschen Willen. Also, wie kann das Sabbatgebot, einen Tag in der Woche zu ruhen und nicht zu arbeiten, für mich dann noch verbindlich sein. Was jedenfalls offensichtlich nicht passiert ist, dass wir Christen heute noch die jüdischen Gesetze, oder auch nur die biblischen Gesetze in ihrer Fülle beachten. Als Christen orientieren wir uns an dem Gesetz oder an der Tora dahingehend, dass wir etwa die 10 Gebote als verbindliche Richtschnur ansehen. Aber auch da gab es schon in der kurzen Zeit der Reformation unterschiedliche Ansichten etwa zum Thema Bilderverbot. Gar keine Bilder mehr, oder die Bilder nur nicht anbeten? Wäre ja unbequem, eine Kirche ganz ohne Bilder, alles weiße Wände?
Andererseits sagt Jesus auch:
Wer nun eines von diesen kleinsten Geboten auflöst und lehrt die Leute so, der wird der Kleinste heißen im Himmelreich. Offensichtlich geht es nicht darum, eine Auswahl zu treffen, aus dem, was in der Bibel steht. Trotzdem scheint sich das Christentum nicht an diese Forderung Jesu gehalten zu haben. Freilich entsteht das Matthäusevangelium in einer Zeit, in der das Verhältnis zwischen Christen und Juden noch nicht endgültig entschieden ist. Es ist eines der Hauptthemen. Wenn Jesus etwa das Gesetz und die Propheten als verbindliche Orientierungspunkte benennt, sehen wir darin eine erste jüdische Kanonbildung, die nur einen Teil der heutigen hebräischen Bibel benennt, die auch für das Christentum zum Kanon gehört. Es ist hier also noch nichts ausgemacht.
Einen Hinweis gibt es allerdings, der etwas davon verrät, wie Jesus seine Worte auch gemeint haben könnte. Seine Betrachtungen zu den 10 Geboten zeigen etwa die Richtung an, die Jesus meint. Nicht auflösen, aber erfüllen, das ist seine Formel, wie er auf die Schriften seiner Religion blickt.
Es ließe sich auch sagen, dass er sie verschärft, dass er ihnen einen Sinn abgewinnt, der weit über die Regelung menschlicher Gesellschaft hinaus geht. Wenn Jesus von Gerechtigkeit im Matthäusevangelium spricht, dann geht es ihm um die göttliche Gerechtigkeit, die damit rechnet, dass unsere bequemen menschlichen Gerechtigkeitsvorstellungen ohnehin auf den Kopf gestellt werden. Liebe deinen Feind, heißt es demgemäß, denn den Nächsten zu lieben, dass machen auch die andern.

Diese Erfüllung oder Verschärfung lässt sich aber nicht prinzipiell festhalten. Eine wesentliche Änderung hat sich nämlich gegenüber biblischen Geboten im Laufe der Jahrhundert ergeben. Wir haben heute ein Prinzipienrecht. Allgemeine Regelungen bestimmen das Gute und Richtige in spezifischen Situationen. So lesen wir auch die 10 Gebote. Das gilt immer. Das gilt auf jeden Fall. Aber auch nicht mehr als das.
Die Bibel und speziell die Regelungen im Alten Testament aber sind Kasualrecht, also es geht immer um konkrete Fälle. Genau dann, wenn dieses oder jenes passiert, tust du dieses oder jenes. Das heißt, es gibt kein letztgültiges Prinzip, keine letztgültige Regel für alle Zeiten, die stets zu befolgen wäre. Jede neue Situation kann eine neue Regel bedeuten.
Wenn ich also endlich zu Hause ausgezogen bin, dann muss ich selbst sehen, was gut für mich ist. Vielleicht probiere ich etwas Neues aus, oder halte mich strikt an das, was ich schon kenne. Beides könnte passen, oder auch unpassend sein. Wenn ich etwa die Socken vor dem Bett liegen lasse, weil Mutti sie immer weggeräumt hat, könnte das einem Lebenspartner gar nicht passen.

Im Grunde genommen heißt das, dass wir die Welt, die irdische und die himmlische, nicht als Regeln wahrnehmen und in ihr regelhafte Dinge erleben, sondern als ein buntes Wirrwarr an Möglichkeiten. Jeden Tag und an jedem Ort. Darunter aber liegt eine göttliche Gerechtigkeit, eine Ordnung, die dem Schöpfer und seinen Geschöpfen gerecht wird. Nur wird mir diese Ordnung nicht einfach auf dem Silbertablett serviert. Ich muss sie selbst herausfinden. Ein paar Regeln helfen da, so wie die 10 Gebote, aber ebenso braucht es Mitgefühl und Lebenserfahrung, die Bereitschaft dazuzulernen und auf den Mitmenschen zu achten. Mindestens so sehr wie auf sich selbst. Das wäre das erfüllte Gesetz, wenn ich die göttliche Ordnung erkenne, die sich mir in der Fülle der Welt darbietet.
Die Fülle der Regeln im Alten Testament kann ebenso eine Möglichkeit sein, etwas über die göttliche Ordnung und Gerechtigkeit zu erfahren. Wie sehen diese Geschichten aus mit Gott und den Menschen, was kann ich daraus lernen? Selbst das uns so ferne Speisegebot, Milch und Fleisch voneinander trennen, könnte dann wichtige Impulse liefern für mein Leben. Es ist also nicht wichtig, dieses getrennte Kochen auszuprobieren, aber den Ernst und die Schönheit darin zu erkennen, die in der Befolgung eines solchen Gebot liegen.

So sind wir ohnehin verbunden mit unseren jüdischen Schwestern und Brüdern. Das wir die selben Worte, von der Tora über die Propheten bis hin zu den Psalmen verbindlich bewahren und lesen. Nur jeder auf seine Weise. Ich glaube aber, dass wir mit Gottvertrauen und Demut zum selben Ergebnis kommen. Dass wir unser Leben so gestalten, dass wir darin etwas sichtbar machen von Gottes Güte und seinem ewigen Frieden.
Amen.

  • Jeder Augenblick in unserem Leben – Miteinander und füreinander beten

Lob und Dank sei dir, guter und barmherziger Gott,
für die Gabe der Tora an dein Volk Israel.
Ihm hast du deinen Willen, deine gute Weisung zum Leben anvertraut.

Lob und Dank sei dir für Jesus von Nazareth,
für sein Leben und seine Lehre.
Lass uns ihn erkennen inmitten seines Volks, ein Jude unter Juden.
Schenke uns Verständnis für seine Lehre,
die deine Tora auslegt und uns so Zugang schenkt zu deinem Wort,
dass wir es hören und tun.

Lob und Dank sei dir für dein Schöpfungswerk:
Täglich gibst du, was deine Geschöpfe zum Leben brauchen.
Du willst Gerechtigkeit – lass uns unseren Teil dazu beitragen:
Dass die Fülle der Gaben gut verteilt und Fluchtursachen beseitigt werden –
dass wir als Gesegnete aus den Völkern auch zum Segen werden.
Wir bitten für dein Volk, in Israel, in unserem Land und in aller Welt.
Der Segen Abrahams und Saras komme über sie,
Frieden in ihren Wohnungen und zu den Nachbarn.
Gib uns Klarheit und Entschiedenheit, Judenfeindschaft zu begegnen:
Ob in unseren Städten, in der Öffentlichkeit und in unseren Medien;
auch in der ungerechten, pauschalen und maßlosen Kritik des Staates Israel.

Wir bitten für alle Völker, dass dein Segen auch über sie komme.
In der Beschäftigung mit deinem Wort,
in guten Beziehungen des Lernens und Lebens,
der Freundschaft und Verbundenheit zu Jüdinnen und Juden.

Und ja: Wir bitten um dein Kommen –
in Bälde bringe uns die Herrschaft des Himmels!
Mit den Worten Jesu beten wir weiter – miteinander und füreinander:

Vater unser im Himmel,
geheiligt werde Dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe,
wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft
und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.

  • Segen

Es segne und behüte uns der allmächtige und barmherzige
Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist.
Er bewahre uns vor Unheil und führe uns zum ewigen Leben.
Amen.

(Pfr. Olaf Wisch)