- Eröffnung
„Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade“, heißt es im 1. Petrusbrief. Falscher Hochmut, aber auch falsche Demut schleichen sich schnell in den Alltag ein. Einige Gedanken, die das Begehren umschreiben, sich über andere zu erheben oder sich kleiner zu machen als nötig, begleiten diese Andacht.
- Ein Lied: Aus tiefer Not schrei ich zu dir (EG 299,1.4.5)
1) Aus tiefer Not schrei ich zu dir, Herr Gott, erhör mein Rufen.
Dein gnädig Ohr neig her zu mir und meiner Bitt es öffne;
denn so du willst das sehen an,
was Sünd und Unrecht ist getan,
wer kann, Herr, vor dir bleiben?
4) Und ob es währt bis in die Nacht und wieder an den Morgen,
doch soll mein Herz an Gottes Macht verzweifeln nicht noch sorgen.
So tu Israel rechter Art,
der aus dem Geist geboren ward,
und seines Gottes harre.
5) O bei uns ist der Sünden viel, bei Gott ist viel mehr Gnade.
Sein Hand zu helfen hat kein Ziel, wie groß auch sei der Schade.
Er ist allein der gute Hirt,
der Israel erlösen wird
aus seinen Sünden allen.
- Worte aus Psalm 145
Ich will dich erheben, mein Gott, du König,
und deinen Namen loben immer und ewiglich.
Ich will dich täglich loben
und deinen Namen rühmen immer und ewiglich.
Der Herr hält alle, die da fallen,
und richtet alle auf, die niedergeschlagen sind.
Der Herr ist gerecht in allen seinen Wegen
und gnädig in allen seinen Werken.
Der Herr ist nahe allen, die ihn anrufen,
allen, die ihn mit Ernst anrufen.
Er tut, was die Gottesfürchtigen begehren,
und hört ihr Schreien und hilft ihnen.
Der Herr behütet alle, die ihn lieben,
und wird vertilgen alle Gottlosen.
Mein Mund soll des Herrn Lob verkündigen,
und alles Fleisch lobe seinen heiligen Namen immer und ewiglich.
- Worte aus dem Lukasevangelium im 18. Kapitel
Jesus sagte aber zu einigen,
die überzeugt waren, fromm und gerecht zu sein,
und verachteten die andern,
dies Gleichnis:
Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten,
der eine ein Pharisäer,
der andere ein Zöllner.
Der Pharisäer stand und betete bei sich selbst so:
Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner.
Ich faste zweimal in der Woche
und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme.
Der Zöllner aber stand ferne,
wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel,
sondern schlug an seine Brust und sprach:
Gott, sei mir Sünder gnädig!
Ich sage euch:
Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener.
Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden;
und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.
- Gedanken zu Lukas 18,9-14
Neben mir hält eine junge Frau im Mercedescabrio. Ich sitze auf meinem Fahrrad. Beide warten wir auf Grün. Ich mache mir so meine Gedanken. Fahrradfahren ist doch viel umweltfreundlicher. Und ich spare mir das Benzin. Und gesünder ist es auch. Soviele Vorteile. Allein der Umstand, dass mein Fahrrad gute 60 Jahre alt ist. Ressourcenschonender geht es kaum. Ich sitze auf meinem Fahrrad und sehe auf die junge Frau herab in ihrem tiefem Autositz. Wenn ich böse wäre, würde ich noch denken: Naja, alleine hat sie das bestimmt nicht bezahlt. Und noch böser: Hoffentlich kriegt sie noch Luft in ihrer Blechkiste. Aber das ist ja Quatsch, ist ja ein Cabrio. Obwohl ich doch mit meiner Entscheidung, Fahrrad zu fahren, zufrieden sein könnte, plagen mich solche Gedanken. Klar ist es gut, mit dem Fahrrad unterwegs zu sein. Aber der hochmütige Gedanke, deshalb auf andere herabzusehen, trägt nicht weit. Ich schaue auf mein Smartphone; und schon ist meine überlegene Moral dahin. Mein Telefon ist noch ziemlich neu. Das letzte ist ins Wasser gefallen. Grob weiß ich, was es kostet, so ein Gerät herzustellen. Nicht nur finanziell, sondern auch der Einsatz an Ressourcen und Arbeitskraft unter schrecklichen Bedingungen. Trotzdem verzichte ich nicht darauf.
Auch der Pharisäer im Evangelium schaut auf den Zöllner herab. Wortreich zählt er seine guten Taten auf. Er ist kein „Räuber, Ungerechter, Ehebrecher, und er ist auch nicht „wie dieser Zöllner.“ Der Zöllner ist so ein Ungerechter. Er erhebt zu hohe Steuern, um neben seinem Auftrag für den römischen Staat in die eigene Tasche zu wirtschaften. Er guckt nur auf sich selbst. Seine Mitmenschen und Gott sind ihm scheinbar nicht wichtig. Der Pharisäer hingegen fastet zweimal in der Woche und gibt den Zehnten von allem, was er einnimmt. Ein guter und frommer Mitmensch ist er, dem die göttlichen und menschlichen Gebote am Herzen liegen. Das steht außer Frage. Jesu Urteil ist aber ebenso deutlich. Das kurze Gebet des Zöllners: Gott, sei mir Sünder gnädig! hat für Jesus mehr Gewicht und göttliche Gerechtigkeit. Die Sünde des Pharisäers besteht darin, dass er auf den Zöllner herabsieht; aber der Zöllner bedenkt sein Fehlverhalten und stellt es vor sich und Gott aus. Er hat keine Möglichkeit, sich über den Pharisäer zu stellen.
Neben meinen guten Taten zählt vor Gott auch der Umgang mit meinen Mitmenschen. Verführerisch ist das Bestreben, sich aufgrund seiner guten Taten und klugen Gedanken über andere Menschen zu stellen. Neulich lass ich den Tweet des Grünenpolitikers und Mitglieds des Präsidiums des Deutschen Evangelischen Kirchentags Sven Giegold. „Damit wird die moralische Kraft unseres Kirchenschiffes noch stärker! Ärzte ohne Grenzen kommt als medizinischer Partner an Bord der #SeaWatch4. Dieses Schiff wird Leben retten und Druck für eine politische Lösung machen!“ Ohne Frage ist das eine gute Sache, was in diesem Tweet benannt wird. Das Leben der Flüchtenden auf dem Mittelmeer retten und darauf zu dringen, eine politische Lösung zu finden. Unsere Luthergemeinde ist gerade diesem Thema sehr eng verbunden, seitdem sie sich mit der Hausaufgabenhilfe für jene Menschen einsetzt, die es über das Mittelmeer geschafft haben. Dennoch bleibe ich hängen an der Formulierung: „die moralische Kraft“. Jeder, der die von der Evangelischen Kirche initiierte Aktion kritisch betrachtet oder sie – aus welchen Gründen auch immer – ablehnt, wird dieser moralischen Kraft unterworfen. Es ist einerseits gut, dass wir unserem diakonischem Auftrag als Kirche nachkommen und über den Tellerrand schauen. Die öffentliche Wirkung dieser zur Schau gestellten „moralischen Kraft“ oder moralischen Überlegenheit andererseits erinnert mich aber auch an den Pharisäer, der sich ebenso moralisch über das fragwürdige Verhalten des Zöllners stellt. In jeder Äußerung der Kirche schwingt die göttliche Autorität mit. Ich frage mich, wie dieses kirchliche Herabsehen auf Menschen wirkt, die dieser Moral nicht genügen. Wie wirkt es auf jene, denen Gott auch wichtig ist, egal wie, und die Rettungsaktion trotzdem nicht gut finden?
Auch meine klugen Worte hier wenden sich an und gegen Menschen, die auf ihre Weise sich für andere Menschen engagieren. Habe ich das Recht, mich über Sven Giegold zu stellen, weil ich so ein kluger Theologe bin?
Jesus stellt den Anspruch an mich, diesen Fragen nicht auszuweichen und mich dennoch für das Gute einzusetzen. Moralische Überlegenheit ist verführerisch. Daran erinnert mich das Evangelium heute.
Amen.
- Ein Gebet miteinander und füreinander
Du Schöpfergott,
du hast uns gut geschaffen
und uns mit der Fähigkeit ausgestattet,
für unsere Mitmenschen Gutes zu tun.
Bewahre uns in diesem Bestreben
und lenke unsere Gedanken,
dass wir unsere Mitmenschen ebenfalls dazu einladen,
für das Leben einzustehen,
dass du uns geschenkt hast.
Du willst, dass wir unsere Mitmenschen
in unser Herz schließen,
auch wenn es schwerfällt.
Bewahre uns davor, sie von uns wegzustoßen.
Und mache uns unsere eigenen Fehler bewußt.
Darum bitten wir mit den Worten Jesu Christi:
Vater unser im Himmel,
geheiligt werde Dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe,
wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft
und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.
- Segen
Es segne und behüte uns der allmächtige und barmherzige
Gott, + Vater, Sohn und Heiliger Geist.
Er bewahre uns vor Unheil und führe uns zum ewigen Leben.
Amen.
(Pfarrer Olaf Wisch)