Reminiszere (05.03.)2023 – Thema: „Freier Sonntag“

  • Eröffnung

Mitten in der Passionszeit ein Blick auf den Sonntag. Das Innehalten in der Passionszeit, das Bedenken, wie der Alltag den Atem raubt; wie die Sonntagsruhe uns Raum geben kann zum Durchatmen, fügt sich in die Zeit ein, die uns an das Leiden und Sterben erinnert und zugleich den Blick darüber hinaus lenkt: auf den Lebensbaum des Paradieses. Der Sonntag und seine Ruhe geben ein Vorgeschmack davon.

  • Lob auf den Lippen – Ein Lied: „Du schöner Lebensbaum des Paradieses“ (EG 96)

Du schöner Lebensbaum des Paradieses,
gütiger Jesus, Gotteslamm auf Erden.
Du bist der wahre Retter unsres Lebens, unser Befreier.

Nur unsretwegen hattest du zu leiden,
gingst an das Kreuz und trugst die Dornenkrone.
Für unsre Sünden musstest du bezahlen mit deinem Leben.

Lieber Herr Jesus, wandle uns von Grund auf,
dass allen denen wir auch gern vergeben,
die uns beleidigt, die uns Unrecht taten, selbst sich verfehlten.

Für diese alle wollen wir dich bitten,
nach deinem Vorbild laut zum Vater flehen,
dass wir mit allen Heilgen zu dir kommen in deinen Frieden.

Wenn sich die Tage unsres Lebens neigen,
nimm unsren Geist, Herr, auf in deine Hände,
dass wir zuletzt von hier getröstet scheiden, Lob auf den Lippen:

Dank sei dem Vater, unsrem Gott im Himmel,
er ist der Retter der verlornen Menschheit,
hat uns erworben Frieden ohne Ende, ewige Freude.

  • Das gute Teil – Evangelium nach Lukas im 10. Kapitel

Als sie aber weiterzogen, kam er in ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm ihn auf.
Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria; die setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu. Marta aber machte sich viel zu schaffen, ihnen zu dienen. Und sie trat hinzu und sprach: Herr, fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfen soll! Der Herr aber antwortete und sprach zu ihr: Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden. (Lk 10,38-42)
Wort unseres Herrn Jesus Christus.

  • Verbindung zu Gott – Gedanken zum 1700jährigen Jubiläum des freien Sonntags

Am 3. März lud die „Allianz für den freien Sonntag“ ein zu einer Online-Veranstaltung, um das 1700jährige Jubiläum zu feiern. Zur Vorbereitung auf dieses Thema lese ich im Vorwort des Buches „Der Sabbath“ von Abraham Joshua Heschel, einem jüdischen Gelehrten, wie seine Tochter Susannah Heschel die Vorbereitungen ihrer Familie auf die Sabbatfeier beschreibt. Sie erzählt von den aufgeregten Momenten in der Küche, beide Eltern bei den hektischen Vorbereitungen und der bangen Frage, ob sie denn auch an alles gedacht haben.
„Dann aber“, schreibt sie, „plötzlich, war es an der Zeit: 20 Minuten vor Sonnenuntergang. Was auch immer in der Küche nicht mehr erledigt werden konnte, ließen wir einfach stehen und liegen als wir die Kerzen anzündeten und die Ankunft des Sabbaths segneten. Mein Vater schreibt: Der Sabbath kommt wie eine Umarmung, die Angst, Sorge und düstere Gedanken abstreift.“
Es geschieht, bei Sonnenuntergang, es ist an der Zeit, in die aufbrechende Dämmerung bricht eine Ordnung ein, die Gott und Mensch unabweisbar zum siebten Tag der Schöpfung führt, zum Ruhetag, an dem nicht mehr geschaffen und gearbeitet wird, an dem Frieden herrscht unter allen Menschen des Hauses. Niemand soll etwas tun, nichts soll mehr geordnet, zubereitet und geregelt werden.
Dieses Gebot beruht also auf einer Tatsache. Es ist ein natürliches Gebot, das ebenso wie der Lauf der Sonne, eine Gegebenheit ist. Dieses Gebot in Frage zu stellen ist schlichtweg nicht möglich. Es liegt nicht in meiner oder irgendeines Menschen Hand. Es ist keine Frage der Erwägung. Möge jeder in dieser Zeit gut vorbereitet sein!

Um es deutlich zu machen: Den Sabbath in Frage zu stellen, wäre genauso irrsinnig wie die Frau in einer Fernsehserie, die sich über das Mondlicht beschwert, weil es die Beleuchtung ihrer akribisch vorbereiteten Gartenparty stört. Zu Recht schauen sich alle irritiert an. Sogar sie selbst erkennt das Unsinnige an ihrer Beschwerde. Sie kann das Mondlicht nicht einfach abschalten.
Deshalb stelle ich auch selbst in Frage, woran ich lange glaubte. Dass nämlich der Sabbat, oder unser Sonntag, irgendwie disponibel wäre. Als wir in der Ausbildung über den Sonntag diskutierten, warf einer meiner Kollegen ein, dass der Ingenieur, der am Sonntag seine geliebte Werkzeugsammlung sortiert, auf seine Weise den Sonntag feiern würde. Ich stimmte ihm zu.
Nun aber würde ich sagen, dass jede sinnvolle Tätigkeit in unserem menschlichen Sinne eben dieses Gebot verletzt. Jede Tätigkeit ist untersagt und soll unterbrochen sein. So wie Susannah Heschel es beschreibt: Alles bleibt stehen und liegen, kein Schalter wird mehr bewegt, keine Zeile geschrieben, keine Reise unternommen. Selbst profane Lektüre bleibt außen vor; allein das Wort Gottes in den heiligen Schriften hat hier seinen Platz.
Abraham Joshua Heschel fasst diese Zeit als ein Einbruch der Ewigkeit, als ein Stehenbleiben (in) der Zeit, als ein Kreisen um das Nichts, wie es am Anfang der Schöpfung bestand, sinnlos in unseren Augen und unseren Händen entzogen, führt der Sabbat, dieser siebte Tage, zurück zum Anfang der Schöpfung, das allein in Gottes Wort ruht und sich ordnet. Er führt uns in die Zeit, in die Zeitlosigkeit zwischen Kreuz und Auferstehung.
Dieser Moment von Zeitlosigkeit, Sinnlosigkeit, dieses Stehenbleiben in der Zeit, diese Zeit der Ruhe erinnert deshalb nicht nur zufällig an den Tod und an die Sitte jüdischer Trauerzüge, die der Psychoanalytiker Leon Wurmser beschreibt. Unvermittelt bleibe der Trauerzug stehen, halte inne, ohne äußeren Anlass, um das Stehenbleiben der Zeit, den Einbruch der Sinnlosigkeit hin zur Ewigkeit spürbar zu machen.

Der Sabbat ist also unumgänglich. Keine Ausrede zählt, wenn es nicht das Leben selbst betrifft. Wenn die Zeit des Sabbats eintrifft – das ist ein Naturgesetz der Schöpfung – kommt die Zeit zum Stehen. Genau das ist unser freier Sonntag. Er ist Gottes Zeit. Es ist die Zeit, in seiner Sphäre zu sein. Keine menschliche Begründung könnte diese Zeit einholen. Er ist keine Wellnessdirektive, die darauf aus ist, die Arbeitskraft des Menschen zu erhalten. Es geht nicht darum, sich etwas Gutes zu tun. Es ist auch nicht die Zeit staatlicher oder kirchlicher Ordnung, worauf das 1700jährige Jubiläum verweist. Kaiser Konstantin hat damit nichts zu tun. Und eben auch die Kirche nicht. Es geht nicht darum, die Gläubigen aufzufordern, sich in der Kirche einzufinden, obwohl es selbstverständlich eine schöne und erhebende Gelegenheit ist, miteinander den Gottesdienst zu feiern. Aber es ist kein Muss! Abraham Joshua Heschel pflegte, wie sich seine Tochter erinnert, meistens zu Hause zu bleiben, um seine Gebete zu sprechen. Das Entscheidende hat er getan. Alle Arbeit ließ er ruhen. Auch gegen seine Bequemlichkeit. Wer wäre er auch, wer wären wir, die Umarmung Gottes auszuschlagen? Arme, verfluchte Menschen, die sich dem Segen des Sabbats entziehen und verweigern. Deshalb weist auch Jesus in harscher Weise die geschäftige Martha zurecht. Maria hat das bessere Teil erwählt. Denn es ist an der Zeit Jesu Wort zu hören. Darin steckt kein unsensibles, machoartiges Verhalten, wie es auf den ersten Blick erscheinen könnte. Er schmälert die Arbeit Marthas nicht. Es ist vielmehr erstaunlich, das der Evangelist Lukas sie überhaupt in den Blick nimmt. So wie Susannah Heschel die hektische Arbeit in der Küche beschreibt. Übrigens beider Eltern, Mutter und Vater. Aus diesem Blickwinkel nehme ich an, dass auch Maria nicht nur zu Jesu Füßen saß, sondern ebenfalls ihren Teil der Arbeit beigetragen hat. Jetzt ist es aber an der Zeit, alles stehen und liegen zu lassen. Auch und vor allem entgegen der Gewohnheit, der Bequemlichkeit und der Vernunft.

Das Gebot der Sonntagsruhe hat im Kreis der 10 Gebote seinen festen Platz. Es ist falsch, es nur nach Lust und Laune zu beachten. Es steht neben dem 5. Gebot und neben dem 1. Gebot; es reiht sich ein in das umfassende Gebot der Gottes- und Nächstenliebe. Es gehört dazu wie Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht. Gesegnet sei dieser Tag!
Amen.

  • Halte inne – Miteinander und füreinander beten

Gott halte inne, segne uns diesen Tag; verleih uns Frieden und Ruhe.
Ruhe vor den Geschäften und der Geschäftigkeit der Welt.
Ruhe vor den Waffen mörderischer Kriege.
Ruhe vor dem Unfrieden in unserem Land.
Ruhe vor den politischen Forderungen, Meinungen und Kämpfen.
Ruhe vor unseren Ängsten, Sorgen und düsteren Gedanken.
Ruhe vor unserem Leid.
Ruhe für die Menschen, die unter menschlicher Geschäftigkeit leiden.
Unter menschlichem Hass und Streit.
Ruhe für die Menschen, die unter Krankheit und Einsamkeit leiden.
Unter Tod und Trauer.

Bleibe bei uns, Herr, denn es will Abend werden.
Mit deinen Worten beten wir.

Vater unser im Himmel,
geheiligt werde Dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe,
wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft
und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.

  • Segen

Es segne und behüte uns der allmächtige und barmherzige
Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist.
Er bewahre uns vor Unheil und führe uns zum ewigen Leben.
Amen.

(Pfr. Olaf Wisch)