Karfreitag 2023

  • Eröffnung

Jesus Christus – Gottes sichtbares Ebenbild erleidet Schmerz und Tod. Und wir sind daran beteiligt, fühlen mit, leiden mit und sind traurig an diesem Tag. Haben wir das verursacht? Und können wir etwas tun? Jesu Ruf „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ weiß um das Leiden in der Welt. Das wollen wir bedenken im Lied und in biblischen Worten.

  • Sei nicht ferne – Worte nach Psalm 22

Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Ich schreie, aber meine Hilfe ist ferne.
Mein Gott, des Tages rufe ich, doch antwortest du nicht,
und des Nachts, doch finde ich keine Ruhe.
Aber du bist heilig,
der du thronst über den Lobgesängen Israels.
Unsere Väter hofften auf dich;
und da sie hofften, halfst du ihnen heraus.
Zu dir schrien sie und wurden errettet,
sie hofften auf dich und wurden nicht zuschanden.
Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch,
ein Spott der Leute und verachtet vom Volk.
Alle, die mich sehen, verspotten mich,
sperren das Maul auf und schütteln den Kopf:
»Er klage es dem Herrn, der helfe ihm heraus
und rette ihn, hat er Gefallen an ihm.«
Sei nicht ferne von mir, denn Angst ist nahe;
denn es ist hier kein Helfer.
Meine Kräfte sind vertrocknet wie eine Scherbe, /
und meine Zunge klebt mir am Gaumen,
und du legst mich in des Todes Staub.
Sie teilen meine Kleider unter sich
und werfen das Los um mein Gewand.
Aber du, Herr, sei nicht ferne;
meine Stärke, eile, mir zu helfen!

  • In meinen Arm und Schoß – Ein Lied: „O Haupt voll Blut und Wunden“ (EG 85)

1.
O Haupt voll Blut und Wunden,
voll Schmerz und voller Hohn,
o Haupt, zum Spott gebunden
mit einer Dornenkron,
o Haupt, sonst schön gezieret
mit höchster Ehr und Zier,
jetzt aber hoch schimpfieret:
gegrüßet seist du mir!

2.
Du edles Angesichte,
davor sonst schrickt und scheut
das große Weltgewichte:
wie bist du so bespeit,
wie bist du so erbleichet!
Wer hat dein Augenlicht,
dem sonst kein Licht nicht gleichet,
so schändlich zugericht’?

3.
Die Farbe deiner Wangen,
der roten Lippen Pracht
ist hin und ganz vergangen;
des blassen Todes Macht
hat alles hingenommen,
hat alles hingerafft,
und daher bist du kommen
von deines Leibes Kraft.

6.
Ich will hier bei dir stehen,
verachte mich doch nicht;
von dir will ich nicht gehen,
wenn dir dein Herze bricht;
wenn dein Haupt wird erblassen
im letzten Todesstoß,
alsdann will ich dich fassen
in meinen Arm und Schoß.

  • Es hat Gott gefallen – Worte aus dem Brief an die Kolosser

Er hat uns errettet aus der Macht der Finsternis
und hat uns versetzt in das Reich seines geliebten Sohnes,
in dem wir die Erlösung haben,
nämlich die Vergebung der Sünden.
Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes,
der Erstgeborene vor aller Schöpfung.
Denn in ihm wurde alles geschaffen,
was im Himmel und auf Erden ist,
das Sichtbare und das Unsichtbare,
es seien Throne oder Herrschaften
oder Mächte oder Gewalten;
es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen.
Und er ist vor allem,
und es besteht alles in ihm.
Und er ist das Haupt des Leibes, nämlich der Gemeinde.
Er ist der Anfang, der Erstgeborene von den Toten,
auf dass er in allem der Erste sei.
Denn es hat Gott gefallen,
alle Fülle in ihm wohnen zu lassen
und durch ihn alles zu versöhnen zu ihm hin,
es sei auf Erden oder im Himmel,
indem er Frieden machte durch sein Blut am Kreuz.
(Kolosser 1,13-20)

  • Häupter voller Blut und Wunden – Gedanken zum Kolosserbrief

Der unsichtbare Gott ist sichtbar geworden
für die christliche Gemeinde in Kolossai, einer damals bedeutenden Stadt auf dem Gebiet der heutigen Westtürkei. Die junge Gemeinde sieht sich vielen religiösen Einflüssen ausgesetzt. Ein Brief, durch den Paulus oder einer seiner Mitarbeiter spricht, drückt darüber seine Sorge aus. Neben jüdischen Speisegeboten ist der Glaube an Christus durch philosophische Vorstellungen der hellenistischen Umwelt irritiert, die Christus wie einen griechischen Gott aussehen lassen. Eine strahlende Gestalt, der menschliches Leid letztlich nichts anhaben kann.

Der unsichtbare Gott ist sichtbar geworden.
Das ist keine ungewöhnliche Vorstellung für die nichtjüdische Bevölkerung. Götter, strahlende Helden und Halbgötter; und oft auch kindliche Gestalten, anziehend und Ehrfurcht gebietend, bevölkern die religiöse Welt der Menschen. .
Für den jüdischen Glauben hingegen ist jede anschauliche Vorstellung von Gott ausgeschlossen; er ist der unsichtbare, eine und allmächtige Schöpfer des Himmels und der Erde.
Christus aber, dessen göttliche Eigenschaften im Brief an die Gemeinde hymnisch besungen werden:

Denn in ihm wurde alles geschaffen,
was im Himmel und auf Erden ist,
das Sichtbare und das Unsichtbare,
es seien Throne oder Herrschaften
oder Mächte oder Gewalten;
es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen.
Und er ist vor allem,
und es besteht alles in ihm.

Dieser Christus ist ein menschliches Ebenbild Gottes. Ein Mensch wie Du und Ich. Der lacht und leidet, der lebt und stirbt. Nicht nur ein strahlender Held und eine schön anzusehende Gestalt, die menschliches Wohlgefallen erweckt.
Zwar wird im Brief an die Kolosser diese Verletzlichkeit und Leidensfähigkeit nicht in den Vordergrund gerückt. Vielmehr schließt das Schreiben an die Vorstellung der Gemeinde an, dass das gottgleiche Ebenbild Gottes etwas bleibend Überirdisches an sich tragen müsse, das durch Irdisches nicht verwundet und zerstört werden kann.
Aber eben das geschieht: Christus wird verwundet und zerstört. Christus, das Ebenbild Gottes stirbt am Kreuz.

Der unsichtbare Gott ist sichtbar geworden.
Heute habe ich seinen Tod vor Augen; das Leid, das mit ihm verbunden ist. Die Folter und das langsame Sterben am Kreuz, wie es auch in den Kirchenliedern beschrieben ist. Paul Gerhardt konzentriert sich auf das Antlitz Christi in den ersten Strophen von „O Haupt voll Blut und Wunden“. Er stellt seinen Glanz und seine Verunstaltung scharf gegenüber; dem gezierten und edlem Antlitz mit roter Lippen Pracht wird das leichenblasse, bespuckte und unter der Dornenkrone zerstochene, zerkratzte und blutende Gesicht voller Striemen gegenübergestellt. Kein Eben-Bild, das in irgendeinen Glauben der nichtchristlichen Kolosser passen würde.

Der unsichtbare Gott ist sichtbar geworden.
Der Grund für dieses außerordentliche Geschehen wird im Brief benannt: Um Frieden zu machen durch Christi Blut am Kreuz; um uns Menschen zu versöhnen mit Gott. Naheliegend wäre das Gefühl der Dankbarkeit für dieses Opfer; nicht nur das Opfer eines Menschen, sondern des Ebenbildes Gottes.
Mir ist heute die Trauer näher. Dieses Ebenbild ist auch ein Bild leidender Menschen. Häupter voller Blut und Wunden, voller Hohn und voller Spott; getötet, verletzt an Körper und Seele, hungernd und frierend, ausgestossen und verlassen, verachtet und vergessen.
Ich wünschte, es wäre anders. Ich wünschte, mit dem Tod Christi wären alle Tränen abgewischt. Doch diese Zeit lässt noch auf sich warten. Heute herrscht der Tod und die Traurigkeit.

Der unsichtbare Gott ist sichtbar geworden.
„Alsdann will ich dich fassen in meinen Arm und Schoß“, heisst es bei Paul Gerhardt. Christus im Schoß seiner Mutter Maria, in den Armen des Josef von Arimathäa; vorsichtig und liebevoll bergen und tragen sie seinen geschundenen Leib. Das Ebenbild Gottes, des Schöpfers von Himmel und Erde.

Amen.

  • Diesen Schrei der Vielen – Miteinander und füreinander beten

„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Du selbst, Gott des Lebens,
hörst diesen Schrei der Vielen,
die heute, so wie Jesus, verlassen sind und keine Antwort erhalten.

Lass uns den unendlichen Karfreitag des Lebens nicht verdrängen,
sondern einstimmen in die Klage der Vielen,
die auch heute vor Hunger weinen,
die in ihren Ängsten vor dem Tod alleine sind,
die an ihrer Krankheit zerbrechen,
die verzweifeln in ihrer Trauer um geliebte Menschen,
die stumm wurden angesichts des übergroßen Leids,
dem sie wehrlos ausgeliefert sind.

Erbarme dich, erbarme dich unser und deiner ganzen Erde,
öffne unsere Herzen, unseren Mund und unsere Hände,
weil du uns ja fortan bittest,
dass wir einander lieben sollen,
ohne Ansehen der Person, der Herkunft oder Religion,
als Menschen, die du von allem Anfang an liebst,
und lieben wirst, heute und für alle Zeit.

Vater unser im Himmel,
geheiligt werde Dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe,
wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft
und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.

  • Segen

Es segne und behüte uns der allmächtige und barmherzige
Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist.
Er bewahre uns vor Unheil und führe uns zum ewigen Leben.
Amen.

(Pfr. Olaf Wisch)